New Work meets New Family! Warum wir eine neue Work-Family-Balance brauchen!

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Ganz ehrlich, ich möchte nicht mehr im Home Office arbeiten. Zumindest nicht dauerhaft. Ich möchte nicht mehr in Jogginghose an meinem Sekretär im Wohnzimmer sitzen, wo jederzeit eine meiner drei Töchter in meinen Kund*innencall platzen kann mit einem herzhaften “Papa, wo ist das scheiss Ladegerät?” #truestory 

Ich möchte nicht mehr abends auf der Couch sitzen und Mails beantworten, während meine Frau mit mir Netflix bingewatchen möchte. Ich möchte endlich wieder präsent sein, wenn ich mit meiner Familie zusammen bin. 

Es reicht.

Ich möchte auch nicht mehr auf dem Spielplatz sitzen, meinem 2,5-jährigen Töchterchen mit einer Hand zu winken und mit der anderen das Handy ans Ohr halten, um Projektstände zu synchronisieren. Ich möchte auch keine Workation mehr. Arbeiten im Urlaub? Been there, done that. Stattdessen möchte ich wieder lernen, mich auf eine Sache zu konzentrieren. 100 Prozent. 

Ehrlicherweise ist mir diese Achtsamkeit in den letzten Monaten schleichend abhanden gekommen, was wiederum zu ernsthaften Spannungen in unserer Familie führte. 

Wie konnte das passieren?

Viel ist geschrieben worden über das heilige Home Office und auch ich weiß es zu schätzen, wenn ich mir die Fahrzeit ins Büro sparen kann. Auch ich genieße die Flexibilität, mittwochs um 15 Uhr unsere Jüngste vom Kindergarten abholen zu können, und dann 3 Stunden später, wenn meine Frau von der Arbeit kommt, wieder in den Arbeitsmodus zu schalten.

Doch die Kehrseite der Medaille zeigt sich allmählich immer deutlicher. Dadurch, dass sich beim Work-Life-Blending die beiden Welten Arbeit und Leben vermischen, kann ich zwar immer an zwei Fronten aktiv sein, doch wenn ich ehrlich zu mir bin, muss ich eingestehen, dass es oft dazu führt, dass ich auf keiner Seite zu 100 Prozent da bin.

Es ist nie genug. Man könnte eigentlich immer noch mehr arbeiten. Gerade Wissensarbeiter*innen sind nie fertig, immer getrieben, ständig unter Strom, denn die Arbeit wartet nicht mehr als eine Stunde entfernt auf dem Schreibtisch im Büro. Sie lauert geradezu in der Hosentasche, tarnt sich als Entertainment, entpuppt sich dann aber schnell als To Do. 

Arbeit lauert überall.

Social Collaboration Tools bieten uns örtliche und zeitliche Flexibilität, doch überfordern uns oft. Ich glaube, wir müssen neu lernen, damit umzugehen und die Familienzeit wieder auszudehnen. 42 Prozent der Deutschen checken ihre Mails im Feierabend. 

Agenturchef und Autor Markus Albers hat darüber ein wunderbares Buch geschrieben. In “Digitale Erschöpfung” beschreibt er seine eigene Spielplatz-Situation als Vater, als er sich wieder einmal am Smartphone ertappte und das Kind aus den Augen verlor. Ich kenne das nur zu gut. Ich habe mich in meinem Podcast „New Work Chat“ mit ihm darüber unterhalten und einige spannende Tipps mitgenommen, das Digitale zurückzudrängen.

Luxusproblem “New Work”

Gerade wenn die Arbeit Spaß macht und man herausgefunden hat, was man wirklich will, kann man die Familie schnell vergessen. Das ist verführerisch und darüber hinaus auch ungesund. Das bestätigten mir auch 60 Personalrät*innen der ver.di, die ich kürzlich in meinem Workshop zu “New Work” auf dem Sparkassen-Forum in Darmstadt zu Gast hatte. 

„Ständig erreichbar zu sein, kaum Pausen zu machen und bis spät in den Abend oder gar am Wochenende zu arbeiten. Das setzt viele Beschäftigte unter enormen Stress“, so Gabriele Bischoff, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.

Wie lässt sich also mit dieser zerfahrenen Situation, die sicher viele Eltern kennen, umgehen?

Die Trennung der Welten

Für mich kann die Lösung nur in der erneuten Trennung der Welten liegen. Weg vom Blending, hin zur geregelten Koexistenz – allerdings nicht der Welten “Work und Life”, denn natürlich ist meine selbst gewählte Arbeit Teil meines Lebens. Ich höre auch in meiner sogenannten Freizeit Podcasts zu New Work und blogge dazu, weil es mich interessiert. Mir geht es um etwas anderes.

Als ich meine Familie aufs Spiel setzte – ohne es zu merken.

Als meine Frau und ich Ende 2011 aus Hamburg als klassische Heimkehrende nach Rostock zurückzogen, fing ich als Marketingmanager bei einem Startup an und durfte mit einem tollen Team zusammenarbeiten. Da mir das Aufbauen ohnehin mehr liegt als das Verwalten, vergaß ich regelmäßig die Zeit. 

Die Welt bestand aus Wünschen und Träumen. Arbeit war cool. Hinter jeder Tür, die man aufstoßen würde, könnte sich eine neue Kundin oder ein einflussreicher Kooperationspartner befinden. Warum also bremsen? Work hard, play hard! 

Wir arbeiteten sehr viel und sehr gern, kreierten mit #relaxinthecity ein Meme auf Tumblr als noch niemand wusste, was Memes waren. Zumindest in Mecklenburg-Vorpommern. Ich schrieb in meiner Freizeit den Startup-Rap-Song “ The 10 Startup Commandments” auf einem Biggie Beat, um unsere kleine Company zu hypen. Regelmäßig zogen wir nach der Arbeit los, saßen in Bars und spannen neue Ideen für unser “Baby”, einen Homepagebaukasten für Gründer. SaaS, wie man neudeutsch sagt.

Meine Frau und mein Kind sah ich in dieser Zeit nur wenig – und mir war es irgendwie nicht mal bewusst. Die einzigen Kids, mit denen ich zu tun hatte, waren die Kinder, die wir für unsere YouTube-Serie gecastet hatten, um so eine Art Website-Dingsda zu produzieren. 

Es war 2012 und man arbeitete selbstverständlich nicht zu Hause, sondern im Büro. Und da wurde es dann nicht selten auch mal später. Bis zu diesem Tag, an dem es zu Hause richtig krachte. Meine Frau wollte sich das nicht länger antun und fragte mich, was ich eigentlich wollte. Arbeit oder Familie? “Nun ja, beides”, antwortete ich reflexartig. Doch sie hatte einen Punkt. Ich verfolgte meinen eigenen egoistischen Traum und vernachlässigte meine Familie. Meine Frau saß nicht selten mit unserer Tochter abends am Tisch und wartete auf mich. Ich sah meine Ehe schon scheitern und riss das Ruder rum, reflektierte meine Prioritäten noch einmal neu und korrigierte meinen Kurs. 

Jetzt aber: Family first!

Arbeit sollte sich zukünftig um unser Familienleben herumstricken lassen. Das war der Plan. Ich sah, wie Familien um uns herum zerbrachen, weil sie einfach die Zeit und die Aufmerksamkeit nicht mehr füreinander aufbrachten. Das galt es zu verhindern, also musste ich mich disziplinieren.

In den folgenden Jahren gelang es mir mal mehr und mal weniger, doch ich blieb auf meinem Kurs. Ich war nach der Arbeit meistens für meine Frau und meine Kinder da, drängte das allmächtige Smartphone zurück und ließ es sonntags sogar oft komplett aus. 

Ich bloggte darüber, was ich gelernt hatte, als ich die Fernbedienung unseres Lebens, aber auch unserer Arbeit, eine Woche nicht nutzte. Und ich las das inspirierende Buch “Liebe dein Leben und nicht deinen Job” von Frank Behrendt, den ich bei mir im Podcast dazu später interviewen durfte. 

Frank plädierte in seinem Buch für glasklare Prioritäten, die sich dann bestenfalls ganz praktisch in der Planung im Kalender wiederfinden sollten. Heute habe ich “Kindergarten” als Serientermin am Mittwochnachmittag im Kalender. Meine Kolleg*innen wissen Bescheid. In dieser Quality Time, in der ich Arbeit nicht ein-, sondern ausblenden möchte, gilt meine Aufmerksamkeit meiner Familie. 

Papa hat nie Zeit!

Ich möchte besser zuhören und besser verstehen, was meine Kinder bewegt, denn Beziehungen leben von Pflege. Das habe ich schmerzlich erkannt, als meine mittlere Tochter neulich meinte: “Papa hat nie Zeit für uns. Immer ist er am Handy oder am Computer.” Das bricht einem das Herz.

Und obwohl ich intuitiv sofort widersprechen wollte, ließ ich es wirken und realisierte, dass es sich aus ihrer Sicht natürlich so darstellte. Ich hatte die Arbeit, die bisher für meine Frau und meine Kinder unsichtbar war, mit nach Hause gebracht und versuchte mich nun vergeblich im Multitasking. Das konnte nur in die Hose gehen. 

Klare Grenzen setzen

Wir brauchen klare Grenzen, die die Familie schützen und unserer Gesundheit nützen. New Work meint eben nicht ständige Erreichbarkeit. New Work meint auch nicht Home Office. New Work meint in erster Linie Selbstverantwortung und dazu gehört eben auch das Wort “Nein”. 

Ob ich nun ein Experte in Sachen Work-Family-Balance bin? Ganz sicher nicht. Ich betrachte mich eher als Lernenden. In meinem Podcast frage ich daher auch gern andere Eltern, wie sie das handlen, denn ich glaube, wir können nur voneinander lernen. 

Wichtig ist mir, dass wir unseren Partnern und Kindern die Zeit und Aufmerksamkeit geben, die sie verdienen. Nicht nur weil es richtig ist, sondern hoffentlich auch, weil wir es wollen. Das bedeutet nicht, dass wir mobiles Arbeiten verbieten sollten. Es kann durchaus das Leben für die Familie erleichtern. 

Neue Chancen

In meinem Fall bietet sich eine sehr schöne Möglichkeit, das Office an der Hafenkante in Warnemünde zu nutzen. Ich setze mich in die S-Bahn, höre einen halben Podcast und bin schon da. Diese kurze Fahrzeit bringt übrigens auch gleich nochmal eine gewisse Pause mit sich. Ich kann mal für ein paar Minuten nichts tun, aus dem Fenster schauen und verschnaufen. Schließlich geht der Tag um 6 Uhr los und ist bis 20 Uhr straight durchgetaktet.

Am Ende ist nicht der Ort entscheidend, sondern die Haltung. Und die gilt es zu überdenken, denn was könnte schlimmer sein, als wenn ich in 10 oder 20 Jahren zurückschaue und es bereue, nicht genügend Zeit mit den Kindern und meiner Frau verbracht zu haben? 

Wenn ich mich also frage, wie ich zukünftig arbeiten will, stelle ich mir die Frage, was meiner Familie gut tut. Und wenn das bedeutet, dass ich zwischendurch mal mit den Stunden runter gehe, dann ist das so. Ich freue mich auf den Austausch mit euch zu diesem spannenden und herausfordernden Thema – zum Beispiel auf LinkedIn.

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Disclaimer: Dieser Text erschien bereits als Gastartikel bei goodjobs.eu, dem Jobportal für soziale und nachhaltige Arbeit.

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Mich interessiert eure Sicht auf das Thema. Wie gut gelingt es euch, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen und was funktioniert für euch?

2 Antworten zu „New Work meets New Family! Warum wir eine neue Work-Family-Balance brauchen!”.

  1. Vielen Dank für diesen wichtigen Reflectionsartikel Gabriel. An so vielen Stellen möchte ich Dir zustimmen. Ich arbeite seit 20 Jahren im Homeoffice, erst einen dann lange 2 Tage – seit über 4 Jahren 100% mit 700 km zwischen Zuhause und dem Büro (das es so nicht mehr gibt)
    Deine Erfahrungen kann ich auch schmerzlich bestätigen nur Die Schlussfolgerung gehe ich nicht mit.
    Eine klare Trennung ist der Schlüssel aber brauche ich den Verkehr um „abzuschalten“, brauche ich das Büro um nicht gestört zu werden, brauche ich den Ausgang und Distanz des Heimwegs (nebst Verkehr CO2…) um mich dann voll auf meine Familie zu „konzentrieren? Das sind allesamt Äußere Veränderungen, die natürlich helfen die Dinge zu trennen.
    New Work und (Digitale) Reife beschreibt für mich aber #Autonomie #Achtsamkeit #Selbstwirksamkeit #Selbststeuerung #Solidarität #Nachhaltigkeit…. Die Verantwortung liegt bei MiR, die gesunde Balance herzustellen, Zeiten abzugrenzen und zu fokussieren. Ich liebe meine Mission im Job und es ist oft schwer aufzuhören – wie wäre es, unsere Familien und die Natur auch so sehr zu lieben, dann wäre doch Balance kaum ein Thema. Vielleicht ist unsere Leistungsgesellschaft das eigentliche Problem – wer nichts produktiv leistet, muss sich schlecht fühlen – egal ob beim Lernen, in der Familienzeit oder im Urlaub. Wieder zurück in die einfachen, getrennten Lebenswelten wäre für mich keine Weiterentwicklung, sondern das Eingeständnis, es nicht geschafft zu haben, keinen (neuen, guten) Weg gefunden zu haben, Familie, Umwelt und Beruf(ung) gesund und nachhaltig auszubalancieren.

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    1. Vielen Dank für deine Perspektive!

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