Wie ein gerupftes Hühnchen sah mein schöner Hansa-Adventskalender aus. Irgendwer hatte sich einfach darüber hergemacht und das Ding eiskalt geplündert. Ich hatte natürlich sofort meine Vermutungen, wer dahinter stecken könnte. “Nein Papi, ich war das nicht.” beteuerten meine beide Kinnings beim anschließenden Verhör. Die Schokoflecken auf dem Hemd der 2-jährigen sprachen allerdings eine andere Sprache.
Also musste ich reagieren. “Mein liebes Frollein, hast du mich gerade angelogen? Du weißt genau, dass du immer die Wahrheit sagen sollst. Sonst wächst dir irgendwann ´ne lange Nase wie Pinocchio!” Später wurde mir die Ironie erst klar. Wir ermahnen unsere Kindern, dass sie uns immer die Wahrheit sagen sollen, schieben aber im gleichen Atemzug oft eine Notlüge hinterher – wofür wir natürlich gute Gründe haben. Ist doch klar. Schließlich wollen wir nur das Beste für unsere Kleinen. Und wenn es der Erziehung dient kann doch hier und da eine kleine Flunkerei nicht schaden. Oder?
Tatsächlich beginnt es oft ganz harmlos. Ich wecke die Kinder an einem typischen Montagmorgen, lächle ihnen ins Gesicht und lüge: “Heute ist ein wunderschöner Tag!” Dann mache ich Frühstück, stelle fest, dass ich gestern Abend den kompletten Käse zum Überbacken der Nudeln aufgebraucht habe und lüge: “Heute gibt´s mal kein Käsebrot zum Frühstück. Zu viel Käse ist nämlich ungesund!” Zugegeben, Flunkereien können uns Eltern eine Menge Stress ersparen.
Daher ist es ja so verführerisch für uns, kleine Notlügen einzubauen und zu sagen “Die Mama kommt gleich wieder. Die ist nur kurz einkaufen.” Dabei braucht die Mama einfach mal 5 Minuten Ruhe im Wohnzimmer, um durchzuatmen. Dazu kommt natürlich, dass diese kleinen Menschen die Wahrheit oft noch gar nicht verstehen. Wenn das Kind also plötzlich nachts ins Schlafzimmer platzt, sagt man doch ganz automatisch Dinge wie: “Der Mama war kalt. Ich musste sie wärmen.” Was hat man denn für eine Wahl?
Auch andere Notlügen-Klassiker wie “Papa hat gar kein Geld mit.” oder “Wir sind gleich da!” sind mittlerweile fester Bestandteil der Erziehungsstrategie und machen uns das Leben tatsächlich leichter. Trotzdem frage ich mich manchmal, was los wäre, wenn man seinem Kind zur Abwechslung mal einen Tag lang die komplette Wahrheit sagen würde.
Zum Beispiel am Mittagstisch. Da würde man dann sagen: “Iss deine Möhren Kind! Es ist allerdings komplett offen, ob du deswegen später gut gucken kannst. Ich selbst habe jahrelang Mohrrüben gegessen und bekam mit 15 eine Brille. Seitdem wurden meine Augen immer schlechter.” Oder auf dem Spielplatz. Da müsste man zugeben: “Nein Schatz, die anderen Kinder möchten jetzt nicht mit dir spielen, weil sie dich nämlich nicht ausstehen können. Gewöhn dich schon mal dran. So ist das Leben.” Die Wahrheit ist halt oft ´ne Bitch. Punkt.
Aber können kleine Kids das verkraften, wenn schon wir Erwachsenen damit Probleme haben? Es muss doch einen Mittelweg geben. Sollen die Kinder ruhig an den Weihnachtsmann glauben. Oder an die Zahnfee. Ist doch halb so schlimm. Irgendwann kann man`s ja aufklären.
Nur eins sollte man besser nicht machen: Die Kinder gezielt manipulieren. Obwohl mir das auch schon mal passiert ist. Da lag ich nach der Arbeit k.o. auf der Couch und kam nicht an die gute Milka, die auf dem Küchentisch lag. Also bat ich die 2-jährige: “Schatzi, bitte hol dem Papa doch mal die Schokolade aus der Küche. Ich kann leider gerade nicht aufstehen.” Das war allerdings eine miese Instrumentalisierung, die sich nicht wiederholen wird. Ehrlich.
Wie geht´s euch mit diesem Thema? Sind Notlügen in der Erziehung ok? Geht´s vielleicht gar nicht anders? Oder wo ist die Grenze? Schreibt´s mir in die Kommentare. Bin gespannt 🙂
Dieser Text erschien bereits als Kolumne im Rostocker Stadtmagazin 0381, Ausgabe Februar 2016. Weitere Daddymodus Artikel von mir gibt es auf www.daddymodus.de. Neuerdings gibt´s außerdem eine Facebook-Seite, auf der die Tweets, Gastartikel und Blogartikel gesammelt werden. Würde mich freuen, wenn ihr mir da folgt. Checkt dazu mal www.facebook.com/daddymodus
Eine Antwort auf „True Lies. Lügen haben kurze Beine.“