„Bleib mir weg mit dieser Digitalisierung. Ich will meine haptischen Bücher und schreibe mir meine Notizen nach wie vor auf ein Blatt Papier.“
Vielleicht habt ihr Sätze wie diese auch schon einmal gehört. Tatsächlich sehnen sich mehr und mehr Menschen wieder nach Haptik in einer Zeit, in der DIGITAL nicht mehr nur ein Buzzword, sondern gelebte Realität in allen Lebensbereichen ist. In meinem Blogartikel „WonderCards! Oder: Warum Haptik in Zeiten der Digitalisierung wertvoll bleibt“ hatte ich es letztes Jahr bereits beschrieben: Das Analoge bleibt wertvoll.
Ein gutes Tool, das zum Beispiel in Workshops in Unternehmen eingesetzt werden kann, um über Digitalisierung und Change zu diskutieren, sind Karten. Wahrscheinlich ist es das Komprimierte, das angesichts der permanenten Informationsüberflutung so gut ankommt. Das dachte sich auch Michaela Scheller, die ein eigenes Moderationskartenset entwickelte, das in Workshops zum Thema Transformation eingesetzt werden kann. Das Set hört auf dem eingängigen Titel „Elephant in the Room“. Es kam so gut an, dass Michaela damit sogar den Transformation Pitch beim Festival of Change des Handelsblattes gewann.
Michaela ist systemische Organisationsberaterin und Organisationspsychologin. Seit mehr als 15 Jahren ist sie in der Change Management Beratung tätig und hilft Unternehmen mit der Umsetzung des kulturellen Wandels in der digitalen Transformation. Seit 2005 ist sie selbständig mit ihrer Beratung cairos-consulting, die in Berlin sitzt.
Sie war so nett, mir ein Set zu schicken und ich muss sagen, dass die Karten wirklich toll geworden sind. Also habe sie interviewt und gefragt, wie sie auf die Idee kam, die „Elephant in the Room“-Karten zu entwickeln und worin aus ihrer Sicht der Erfolg der Haptik liegt.

1. Stell dich kurz einmal vor. Woher bist du und was machst du?
Ich bin Michaela Scheller, bin in Dortmund geboren und dort zur Schule gegangen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung bin ich zur Uni gegangen und habe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Organisationspsychologie studiert.
Ich habe schon an vielen Orten gelebt, u. a. in Neuseeland, bin jetzt aber seit 8 Jahren heimisch in Berlin.
Seit 15 Jahren bin ich selbständig und begleite Unternehmen in Veränderungsprozessen. Diese sind in den letzten Jahren vielfach von der IT Seite initiiert und so bin ich seit Jahren in Kontakt mit der digitalen Transformation und den entsprechenden Implikationen für das Change oder Transformation Management.
2. Wie kam die Idee zu den Karten? Wie entstand der Name?
In einem großen IT Veränderungsprozess bei einem wiederum großen globalen Player stand ich vor der Herausforderung, möglichst viele Menschen weltweit mit den Veränderungen in Kontakt zu bringen. Es waren schon viele Plakate und Flyer erstellt worden, so richtig angekommen sind die Veränderungen in den Teams aber nicht. Ich habe mir also folgende Fragen gestellt:
1. Wie können wir dafür sorgen, dass die MA sich mit dem Thema beschäftigen?
2. Was wäre ein idealer Teaser dafür?
3. Und die wichtigste Frage: Was funktioniert auch, wenn kein Change Manager im Raum ist bzw. wir nicht zu jedem Meeting selbst hinzukommen können?
Bei meinen Beobachtungen in verschiedenen Unternehmen kamen dann auch immer wieder diese 4 Themen auf: Innovation, Cloud, Digitalisierung und Zusammenarbeit. Ich habe mich also hingesetzt und erst einmal in eine Excel Tabelle die schönsten Sätze geschrieben, die ich genau so dazu gehört habe. Daraus habe ich zunächst ein paar Karten gebastelt.
Dann habe ich mehrfach verprobt, Mitarbeiter mit diesen Narrativen zu konfrontieren, was häufig Gelächter, vor allem aber auch ein Nachdenken zur Folge hatte. Aussagen wie: „Stimmt. Wenn wir so weitermachen, haben wir ein Problem.“ habe ich oft gehört. Es gab gutes Feedback zu den Karten, deshalb habe ich daraus ein Kartenset entwickelt, welches von Führungskräften und Moderatoren gleichermaßen eingesetzt werden kann und auch ohne die Anwesenheit eines Beraters (wie mir) funktioniert.
Der Name war schnell gefunden, denn es geht ja immer um den „Elephant in the room“, der da ist, aber nicht besprochen wird.

3. Es gibt ja diverse haptische Hilfsmittel. Was ist der Vorteil an Haptik in Zeiten der Digitalisierung? Was kann es leisten?
Das Handelsblatt hat im Sommer 2019 ein Festival of Change organisiert. Hier wurden im Vorfeld innovative Ideen gesucht, die helfen, die digitale Transformation im Unternehmen zu unterstützen. Ich habe mich mit dem Elefanten hierfür beworben und bin schließlich in einem Pitch gelandet. Gleichzeitig mit mir waren auch IBM und Ernst&Young sowie weitere große Player „am Start“. Sie präsentierten tolle digitale Lösungen, um den Wandel zu unterstützen.
Als ich dann an der Reihe war, fand ich es zunächst etwas mulmig, ohne Präsentation und statt dessen mit ein paar Elefanten-Karten auf die Bühne zu gehen. Ich habe dann erzählt, wie es zu dem Kartenset gekommen ist und schließlich die Wirkweise erläutert.
Im Anschluss an alle Präsentationen wurde dann direkt im Saal abgestimmt, welches „Instrument“ am hilfreichsten sei. Der Elefant bekam über 50% der Stimmen und hat damit den Pitch gewonnen.
Ich war vollkommen überrascht, obwohl ich natürlich an die Wirksamkeit des Einsatzes geglaubt habe. Aber gegen die Instrumente der großen Player zu „gewinnen“, hatte ich dann doch nicht erhofft.
Im Nachhinein ist mir diese Entwicklung aber durchaus plausibel. Es scheint ein großes Bedürfnis nach (be)greifbaren Instrumenten und Methoden zu geben, die den digitalen Wandel begleiten. Für die Menschen im Plenum war die Geschichte und auch der Einsatz vollkommen nachvollziehbar und verständlich. Und auch genau das ist es, was ich jedes Mal wieder bei dem Einsatz der Karten erlebe und hin und wieder auch als Feedback bekomme: „Endlich mal nix Digitales. Wir wollen ja schließlich miteinander reden. Da helfen die Karten schon wirklich gut.“
4. Für wen eignen sich die Karten?
Für Führungskräfte, die mehr über die Glaubenssätze in ihrem Team erfahren möchten und darüber eine Diskussion in Gang halten möchten. Hierbei ist es auch möglich, die Karten bei Teambuildingprozessen und innerhalb der Arbeit von Projektteams einzusetzen.
Für Moderatoren, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Haltungen und Einstellungen in Teams verdeutlichen möchten. Zu Beginn eines Workshops kann so ein Themenspeicher erstellt werden, der die Basis für den weiteren Verlauf bildet.
Für Change Agents, die Transformationen bzw. Teambuildingprozesse in ihrem Unternehmen unterstützen und begleiten möchten.

5. Wie können Unternehmen aus deiner Sicht Selbstorganisation wirksam etablieren?
Die Welt um uns herum ändert sich. Sie wird dynamischer, schneller, unvorhersagbarer. Die komplizierte Welt, in der es um „erkennen – analysieren – reagieren“ geht, wird zunehmend durch eine komplexe Welt abgelöst. Hier ist folgende Vorgehensweise sinnvoll: „probieren – erkennen – reagieren“. Bewährte Muster funktionieren also nach und nach nicht mehr. Die Pyramide hat ausgedient, es leben die Netzwerke.
Doch was bedeutet das für die Menschen in Organisationen? Jahrzehnte lang haben viele Mitarbeiter gelernt, dass es sinnvoll ist, sich „an oben“ zu wenden, wenn es Schwierigkeiten gibt. Von „oben“ gesagt zu bekommen, was nun gemacht werden soll. Entscheidungen „von oben“ abzuwarten. Verantwortung „oben“ zu lassen. Und ihre entsprechende Verhaltensweise wurde durch das System „belohnt“. Nun soll sich das alles ändern. Silos sollen überwunden, Netzwerke aktiviert und Wissen geteilt werden. Entscheidungen sollen in Teams getroffen, Unsicherheiten agil gemanaged werden. Dies alles dient dazu, schneller auf die Erfordernisse des Marktes reagieren zu können.
Laut Motivationspsychologin Carol Dweck gibt es zwei verschiedene Arten von Mindsets:
· Fixed Mindset (hier herrscht die Haltung vor, dass Fähigkeiten angeboren sind. Wenn jemand scheitert, dann führt er das darauf zurück, dass ihm bestimmte Begabungen nicht mit auf den Weg gegeben wurden)
· und Growth Mindset (hierbei besteht die Überzeugung, dass jeder alle Probleme lösen kann, wenn er nur genügend Zeit und Kraft aufwendet, um bestimmte Fähigkeiten zu trainieren oder zu erlernen).
Diese Einteilung wird als veränderbar angegeben, denn das Mindset ist durch jeden selbst beeinflussbar. Ein Mindset bildet sich vor allem aus Erfahrung heraus und ist dementsprechend durch positive Ereignisse bzw. negative Erkenntnisse geprägt.
Wenn wir davon ausgehen, dass das Mindset eines Jeden selbst beeinflussbar und dieses von Erfahrungen geprägt ist, müssen wir Möglichkeiten schaffen, positive Erfahrungen mit der gewünschten Offenheit und Transparenz, dem Miteinander und dem Wissenstransfer zu machen.
Genau das ist es. Einfach mal anfangen und Räume zum Ausprobieren und Erfahrungsammeln schaffen.

7. Über New Work wird gerade viel diskutiert. Wie verstehst du es?
Ich bin, nachdem das Kartenset in den Verkauf ging, häufig angesprochen worden, ob es nicht auch Karten zum Thema „New Work“ geben könne. Das wäre doch eine wunderbare Idee für ein Ergänzungskartenset.
Nun bin ich z. B. schon lange Mitglied von Intrinsify.me und dort diskutieren wir schon sehr lange darüber, was eigentlich „New Work“ ist. Aus diesem Grunde habe ich mich eine Weile schwer damit getan, ein passendes Kartenset zu diesem Thema zu entwickeln. New Work ist einfach zu vielfältig, um das Thema in eine Schublade zu stecken.
Stattdessen habe ich also viele Aussagen aus unterschiedlichen Unternehmen dazu gesammelt, die zum Thema New Work existieren. Es reicht von „New Work bedeutet, dass wir jetzt einen Kicker-Tisch bekommen.“ bis zu „Wir können alle an der Gestaltung der Arbeit mitwirken.“
Sicherlich ist New Work ein Sammelbegriff für sinnstiftende und zukunftsweisende Arbeit. Es ist eine Frage der Haltung, der Kultur und der Wirkung. Aber letztendlich ist es für Teams und ganze Unternehmen wichtig, was sie selbst darunter verstehen und was sie daraus machen möchten. Hier eine gemeinsame Definition zu erlangen funktioniert am besten, wenn man darüber spricht.
8. Was inspiriert dich bei deiner Arbeit?
Bei meiner Arbeit inspiriert mich immer wieder, wenn es möglich wird, durch einen Perspektivwechsel gemeinsam neue Optionen und Möglichkeiten auszuloten. Darüber hinaus inspirieren verschiedene Blogs, Veranstaltungen und Geschichten einzelner Menschen. Ich lasse mich auch immer wieder gern inspirieren von ganz anderen Disziplinen wie Yoga.
9. Wo kann mir dir Folgen?
Man findet mich natürlich bei Linkedin und Xing. Außerdem natürlich auf meiner Homepage www.cairos-consulting.de.
10. Und zum Abschluss, ein Zitat, das man kennen sollte ist …
„Wir stehen vor atemberaubenden Möglichkeiten, die als unlösbare Probleme verkleidet sind.“ John W. Gardner
Ein Zitat, was mich schon lange begleitet. Es hilft mir und auch anderen immer wieder, die Perspektive zu wandeln.
Vielen Dank an Michaela für das Interview und die spannenden Insights. Mehr zu den Karten gibt es auf ihrer Webpräsenz. Dort könnt ihr euch das Kartenset „Elephant in the Room“ auch bestellen. Ich kann es nur empfehlen. Noch mehr zur Story von Michaela erfährt ihr im Podcast von Thomas Köneke.
Habt Ihr Feedback? Was haltet ihr von Moderationskarten? Habt ihr bereits Erfahrungen dazu gesammelt? Schreibt doch mal einen Kommentar. Bin gespannt.