“Alles reine Routine. Kein Grund zur Beunruhigung.” Ich erinnere mich noch genau daran, wie die Leiterin unseres neuen Kindergartens diese Worte mit einem Engelslächeln zu uns sagte. “Wir rufen Sie wirklich nur im absoluten Notfall an. Das kommt so gut wie nie vor.” Das war vor fast einem Jahr. Bis wir vor ein paar Tagen einen Anruf bekamen. Völlig aufgelöst meldete sich meine Frau nachmittags bei mir: “Die Kita hat angerufen! Schon zwei Mal!“ (Hitchcock-Psycho-Geige ertönt im Hintergrund).
Ich rufe also im Kindergarten an und will wissen was los ist. Ich erfahre, dass irgendwer wohl die Tür zugeknallt hat und das kleine Patscherhändchen unser 2-jährigen noch dazwischen war. Schrecklich! Ich will gerade losfahren, um unsere Kinder von der Kita abzuholen, da bekomme ich per WhatsApp ein Foto geschickt von einer dick geschwollenen, blau angelaufenen Kinderhand. Das geht durch Mark und Bein, also los und hin da.
Im Auto fluche ich laut über den zähflüssigen Berufsverkehr. Als ich endlich im Kindergarten ankomme ist K1 zwar gut drauf, aber K2 weint bitterlich. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es die Schmerzen sind oder ob es eine Art Erleichterung ist, weil ich da bin. Ich packe die Lütten ins Auto und fahre los. Gott sei Dank finden wir sogar einen Parkplatz in der Nähe der Kinderarztpraxis während die Dunkelheit einsetzt und der kalte Novemberregen auf uns nieder prasselt. Ich befürchte ein volles Wartezimmer, werde aber positiv überrascht. Ein Lichtblick! Nur eine Familie vor uns. Das gab es fast noch nie.
Angestrengt pule ich beide Kinder aus ihren mehrteiligen Herbstklamotten, atme einmal tief durch und schicke beide mit einem “Wir sind gleich durch hier.” in Richtung Spielecke. Als ich der Arzthelferin erkläre was passiert ist ernte ich nur ein Schulterzucken kombiniert mit einem: “Dafür sind wir nicht zuständig.”
“Wie nicht zuständig? Hääh?” “Da das im Kindergarten passiert ist, dürfen wir sie gar nicht behandeln. Aus Versicherungsgründen. Da müssen Sie zur Kinderklinik fahren.” Was ein bürokratischer Bullshit! Ich rege mich innerlich fürchterlich auf, widerstehe aber der Versuchung, den Überbringer schlechter Nachrichten Game of Thrones-mäßig zu bestrafen. Die Kinder, die ich wieder anziehen darf, sind nun komplett verwirrt. “Sind wir schon fertig Papa?“ fragt die Große. Schön wär´s.
Also ab durch den Regen wieder zum Auto. Als ich den Motor starten will fällt mir ein, dass ich die Versicherungskarte der 2-jährigen gar nicht bei mir habe und daher noch mit den Kindern vorher zu meiner Frau fahren muss. Scheiße!
Auf der Arbeitsstelle meiner besseren Hälfte angekommen kontaktiere ich meine Schwester, damit sie K1 beaufsichtigt, während ich mit K2 zur Kinderklinik fahre. Als ich K1 zu verklickern versuche, dass ich sie gleich zu Tantchen bringe, kriegt sie einen hysterischen Weinanfall der Kategorie 1 und besteht darauf, mit zur Klinik zu kommen. Aber daraus wird nix. Etwa 20 Minuten später treffe ich mit K2 endlich in der Kinderklinik ein.
“Wo wollense denn hin?” fragt mich die kaffeeschlürfende Nuschelmutti am Empfang. “Die Hand der Kleinen muss wohl geröntgt werden, daher…” “Moment Moment!” werde ich unterbrochen. “Guckense mal auf die Uhr. Um die Zeit machen wir hier nix mehr. Da müssense in die Chirurgie der Uni-Klinik.” Ich suche kurz die versteckte Kamera, kann aber keine finden.
Töchterchen sitzt bei mir auf dem Arm und fragt leise: “Hause gehen?” Leider noch nicht. In der Chirurgie angekommen dürfen wir im Wartezimmer Platz nehmen, das selbstverständlich richtig schön voll ist. Töchterchen ist müde. Hatte ja auch einen Scheißtag bis jetzt. Das zehrt an den Kräften. Bescheuerter Weise habe ich ihren Nuckel im Auto vergessen. Das hätte geholfen. Immerhin gibt es einen Fernseher hier, auf den alle gebannt starren wie Alex in Clockwork Orange.
Dort läuft nur leider kein Sandmännchen, sondern eine stinklangweilige Doku über Panzer. Das ist nicht dasselbe. Das spielt verdammt nochmal nicht mal im selben Stadion. Ich hole also mein Handy raus, auf dem ich für Notfälle einige Games für die Kids installiert habe. Das verschafft mir immerhin 10 Minuten Ruhe. Die kleine Kinderhand sieht ziemlich blau und dick aus. Hoffentlich ist nichts gebrochen.
Irgendwie geht es so gar nicht voran. Nach 30 Minuten sitzen immer noch fast alle Wartenden auf ihren Plätzen. Die abgestandene Krankenhausluft wabert durch die Gänge. Mitleidsblicke von den älteren Damen, die uns gegenüber sitzen, erwidere ich mit einem gezwungenen Lächeln. Das strengt an, aber gleich sind wir dran und dann geht`s nach Hause.
Aus dem Nichts taucht ein Rentner auf, der sich neben uns setzt und dämlicher Weise versucht, Töchterchen aufzumuntern. Keine gute Idee. Die Kleine bekommt Angst, beginnt bitterlich zu weinen und klammert sich an mich. Der Rest der Wartezimmerbande dreht sich genervt zu uns. Jetzt ist die Kacke hier richtig am Dampfen.
20 Minuten später werden wir endlich aufgerufen. Das wurde auch höchste Zeit, denn dem Papa ist mittlerweile das Bein eingeschlafen, auf dem Töchterchen seit 1h sitzt. Der Arzt tänzelt, ein Liedchen pfeifend, hinein und will sich die Hand anschauen, die K2 aber voller Misstrauen zurückhält. Nach nicht mal 2 Minuten heißt es dann: “Schwellung, kein Bruch!”
Ich atme auf. Töchterchen ist allerdings am Ende und weint. “Mama Mama!” Gleich sind wir hier durch. “Tja.” meint der Chirurg beim Rausgehen noch mit einem süffisanten Grinsen. “Das Röntgen hätte die Kleine ja wohl eh nicht mehr mitgemacht heute – so wie sie drauf ist.”
Habt ihr schon ähnliche Erfahrungen gemacht? Schreibt´s mir in die Kommentare. Bin gespannt 🙂
Dieser Text erschien bereits als Kolumne im Rostocker Stadtmagazin 0381, Ausgabe Dezember 2015. Weitere Daddymodus Artikel gibt es auf http://www.daddymodus.de. Neuerdings gibt´s außerdem eine Facebook-Seite, auf der die Tweets, Gastartikel und Blogartikel gesammelt werden. Würde mich freuen, wenn ihr mir da folgt. Checkt dazu mal www.facebook.com/daddymodus